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Von Maja Vardjan.

Der erschütterte Blick der slowenischen Kulturszene

Territorien, Identitäten und kontemporäre slowensiche Kunst

Zur letzten Ausstellung „Territorien, Identitäten, Netze“ des verstorbenen slowenischen Kurators Igor Zabel (1958-2005).

Die Ausstellung „Territorien, Identitäten, Netze“ beendet eine Trilogie, die die wichtigsten Strömungen moderner slowenischer Kunst und verwandter Bereiche seit 1975 zum Thema hatte. Bedauerlicherweise ist dieser letzte Teil der Reihe „Slowenische Kunst 1995–2005“ auch die letzte Ausstellung des Kurators Igor Zabel – einer zentralen Figur der zeitgenössischen Kunstszene Sloweniens – der im Alter von 46 Jahren plötzlich verstorben ist. Wie so viele der von ihm kuratierten Ausstellungen zeugt auch diese von der Weite seines intellektuellen Schaffens.

Da es beinahe unmöglich ist, eine historische Synthese des gegenwärtigen Jahrzehnts zu bilden, entschied sich Igor Zabel mit dem Kurator Igor Španjol für ein mosaikartiges und kollektives Konzept. Die unterschiedlichen Kunstbereiche – angefangen von neuen Formen der Malerei über neue Medien, politische Kunst, „Net-Art“ bis hin zu Architektur, Design, Theater und Film – wurden von verschiedenen Experten diskutiert und zusammengetragen. Dieser heterogene Ansatz verkörpert die wichtigsten Veränderungen in der slowenischen Kunst des letzten Jahrzehnts. „Ginge ich von meiner eigenen subjektiven Erfahrung aus, wäre der Moment, in dem sich verschiedene Kunstströmungen unter dem Begriff slowenischer ‚zeitgenössischer Kunst’ als kollektives Phänomen mit seiner eigenen speziellen Dynamik verbanden, genau im Jahr 1995 anzusetzen“, schreibt Igor Zabel in der Einleitung des Katalogs. Die Ausstellungen „Zbirka P.A.R.A.S.I.T.E. muzeja“ (The Collection of the P.A.R.A.S.I.T.E. Museum, Slovene Art of the 90’s) und „Čas kot struktura, metoda kot pomen“ (Time as Structure, Method as Meaning) von 1995 präsentierten eine lebendige neue Kunstszene, die risikobereit und experimentierfreudig war. Für Zabel stellte die Bilder waschende Waschmaschine von Maja Licul einen rituellen Reinigungsakt traditioneller Werte und ihrer Grenzen dar. Igor Zabel betrachtete die Entwicklung der zeitgenössischen Kunst, die er klar von der modernen Kunst abgrenzte, durch das Prisma entscheidender zeitgenössischer Ausstellungen, im Besonderen der polemischen „U3“, der Zweiten Triennale zeitgenössischer slowenischer Kunst. Dies war die erste Ausstellung des Kurators Peter Weibel, der die zeitgenössische Kunst Sloweniens nicht nur auf die internationale Bühne hob, sondern auch ihre lokale Bedeutung unterstrich.

Die Landschaft der Kunst wird nicht nur durch Ausstellungen verändert, auch die von den Künstlern aufgegriffenen Themen spielen eine entscheidende Rolle. Zabel unterschied verschiedene grundlegende Merkmale der zeitgenössischen Kunst. An dieser Stelle seien nur einige genannt. Erstens (1): das Kunstwerk entwickelt sich vom Objekt zur Rauminstallation, einer geschaffenen Situation oder speziellen Beziehung; zweitens (2): Kunst wird zur sozialen Skulptur und agiert im sozialen Raum; drittens (3): die Entwicklung neuer Technologien und Massenmedien lässt eine neue Kunst entstehen; viertens (4): die Transformation des Bildes veränderte die Malerei; fünftens (5): Interaktivität, Mitwirkung, kollektive Kreativität; sechstens (6): kritische und selbstkritische politische Strategien des Widerstandes. Die Erweiterung des Kunstwerks in den Raum und weiter in das Netz von Beziehungen und Situationen hat der Ausstellung ihren Titel gegeben. Die „Territorien“ (Territories) wurden einem Werk von Marjetica Potrč entlehnt: Ihre Dekonstruktion von Skulpturen in urbane Installationen ist symptomatisch für die zeitgenössische Kunst. Der gemeinsame Nenner der meisten Projekte dieser Ausstellung sind kleine, individuelle Geschichten.

Igor Zabel war der erste Theoretiker der zeitgenössischen Kunst Sloweniens, der erste bedeutende slowenische Kurator und ein wichtiger Botschafter für die slowenische Kunst. Neben seinen vielen interdisziplinären intellektuellen Qualifikationen strahlte er auch enorme symbolische Bedeutung aus. Als kleine Nation verfügt Slowenien nur über wenige Experten spezieller Fachbereiche. Muss man auf einen dieser Experten verzichten, ist das Gleichgewicht zerstört. Und 2005 wurde das Gleichgewicht in der slowenischen Kultur auf tragische Weise erschüttert. Nach dem plötzlichen Tod eines großen Filmtheoretikers, dem Direktor der slowenischen Kinemathek Silvan Furlan, und nach dem unerwarteten Ableben von Igor Zabel trat eine schmerzhafte und schreckliche Stille in der slowenischen Kultur ein. Das Museum für Moderne Kunst und die slowenische Kinemathek zählten zu den wenigen staatlichen Einrichtungen, die ihr Kulturprogramm unabhängig und souverän gestalten konnten. Der erschütterte Blick der slowenischen Kulturszene richtet sich nun auf das künftige Vorgehen der neuen Regierung im kulturellen Bereich. Der erste – wenn auch schwierige – Schritt, den die neue Regierung setzen sollte, wäre es, einen geeigneten Ersatz für diese zwei außergewöhnlichen Menschen zu finden. Der zweite Schritt müsste darin bestehen, endlich zu erkennen, dass ein junger europäischer Staat nicht nur dem Populismus und Markt huldigen, sondern stattdessen in zeitgenössische Kunst und Kultur investieren sollte. Ein Anstieg derartiger Investitionen wäre der einzig angebrachte Abschiedsgruß.


Maja Vardjan, Architektin, arbeitet als Architekturredakteurin für das slowenische Magazin „Ambient“ und schreibt für einige andere Magazine, wie „A10“ (New European Architecture) und „Art.si“.

Artikel erschienen in REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa, September 2005



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